Praxisfall Leitprozess Vernetzung:

Gleich und Gleich gesellt sich gern.

Unter besonderer Berücksichtigung der Leitprozesse Personal und Sozialkomplexität, Entscheidungsorientierung sowie Vergangenheits- und Zukunftsbehandlung.

Anliegen des Kunden
Der GF eines Projektentwicklungsunternehmens bat mich bezüglich eines „kleineren Durchhängers“ in seinem Unternehmen um Ausleuchtung und Reflektion der laufenden Prozesse. Ein Bauprojekt liege ihm dabei im Magen. Dieses Projekt wurde vor 6 Jahren mit 5 weiteren Partnern gegründet. Der GF ist dabei Gründer und Ideengeber. Es handelt sich um ein relativ großes Neubauvorhaben im Norden Deutschlands.

Auftragsklärung
Der GF berichtet viel, teilweise sprunghaft und unzusammenhängend. Er hat in den Jahren viel erlebt und mit unterschiedlichen Dienstleistern sowie möglichen Geschäftspartnern zusammen gearbeitet. Seine Firmenstruktur oder Einsatztruppe besteht im Kern aus fünf wirtschaftlich am Profit beteiligten Personen. Gemeinsam wurde eine Kapitalgesellschaft in Form einer GmbH gegründet. Alle Partner besitzen zusätzliche Firmen, die wie gewohnt weiterlaufen. Die Tonalität seiner Stimme wirkt selbstbewusst und kraftvoll.

Als erstes fällt auf, dass sich alle Situationsberichte im Inhalt ähneln und von Begebenheiten berichten, die den GF in seiner Führungsrolle untergraben oder ganz übergehen. Zwar ärgert er sich über die „Verselbstständigung und den Vertrauensmissbrauch“ ändert jedoch nichts an seinem Verhalten oder der Art der Kommunikation. Die von ihm empfundene Grenzübertretung hat zunächst keine weiteren Konsequenzen für die Betroffenen.

Auf die Frage was seine Aufgabe in der Rolle als GF ist und welchen Einsatz die anderen beteiligten Parteien im Detail einbringen müssen, beschreibt er sehr präzise seinen eigenen Einsatz für das Projekt und fügt mal zögerlich, mal eschauffiert, mal ärgerlich oder enttäuscht hinzu, dass die Partner ihn mit ihrem Einsatz immer wieder vertrösten. Sei es aus Zeitmangel, nicht wollen oder vielleicht auch nicht können. Genau wisse er das nicht. Der von mir immer wieder gestellten Frage woran es liegen könnte, dass er das nicht weiß und auch keine Vermutung dazu benennen könne, weicht er immer wieder geschickt und gleichzeitig leicht verärgert aus.

Die Partner wurden über vergangene, teilweise branchenfremde Erfolge in ihrer Kompetenz eingestuft und nach ihrer Verfügbarkeit vom GF ausgewählt und beteiligt. Für Außenstehende hört sich die Beschreibung nach Zufallsbegegnungen an. Nach mehreren Gesprächen räumt der GF ein, dass er mittlerweile unsicher ist, ob die Partner genug Fachkompetenz für das Projekt aufweisen.

Das Paradoxe ist, dass wohl niemand das bereits über viele Monate ins stocken geratene Projekt loslassen möchte. Ich halte für mich fest, dass scheinbar fünf Parteien ähnlich bis gleich reagieren und scheinbar niemand die Situation wirklich ändern möchte. Laut GF sucht auch keiner der anderen Parteien das Gespräch. Auch mein Nachfragen nach Gesprächsbedarf findet auch der GF eher befremdlich und reagiert mit Unverständnis.

Wie kommt das?
Schnell wird klar, dass von Anfang an keine aufrichtige Kommunikation zwischen den einzelnen Parteien bestand. Ich nenne das „fehlende sachbezogene und aufrichtige Kommunikation“. Mein Kunde nennt das „normaler Arbeitsalltag“. Alles wurde im Vorbeigehen geregelt wichtige Botschaften gingen in Oberflächlichkeiten und oftmals verschobenen Besprechungen verloren. Man wüsste aber dann schon was zu tun sei.

Die Organisation stellt sich nach zwei Tagen Analyse mir als völlig kraftlos und leer dar.
Voller Kraft hingegen scheint bei jedem einzelnen der 5 Führungskräfte die geballte Faust zu sein, in der alle Beteiligten ein lebloses Ende eines Bandes unbedingt festhalten wollen. Jeder für sich!
Diese Entkoppelung macht es für den GF besonders schwer. Zwar vertraut er seinen Partnern einerseits hat aber andererseits auch keine andere Wahl, da sich diese für ihn unkontrollierbar erweisen und sich immer wieder der Kommunikation entziehen.
Gemeinsam mit dem GF und seiner Assistentin reflektieren wir die letzten Jahre, um zu verstehen wie es eine so kleine, starke und bewegliche Einsatztruppe schaffen konnte, in einem für diesen Fall relativ kurzem Zeitraum so langsam, kraftlos und starr zu werden. Auf letztere Formulierung haben wir uns in der Beschreibung gemeinsam geeinigt.

Wir beginnen bei der Unternehmens-Gründung, dem Netzwerkaufbau, den ersten Geschäftspartnern, den Kosten sowie allen Kommunikationsmaßnahmen und erarbeiten folgenden Fokus:

Durch die Erläuterungen beider Akteure wird schnell klar, dass sich der GF, ständig handelnd, von Geschäftsereignis zu Geschäftsereignis bewegt. Hier auch sichtbare Erfolge erzielt, aber auch alles eher zufällig als aus der Struktur heraus erwachsen scheint. Durch ständiges Agieren verliert der GF über die Jahre die besondere Fähigkeit in seiner Funktion zu reflektieren und nimmt u.a. die bereits vorliegenden Veränderungen der Umwelt kaum wahr. Auch nimmt er nicht mehr wahr wie viele Einzelakteure er sich für das Projekt ausgesucht hat und wie sehr diese eine eigene Agenda betreiben.

Je tiefer wir uns dieser existenziellen Kernproblematik widmen, desto mehr verschärft sich der Tonfall des GF. Ohne Bemühungen freundlich zu bleiben, zeigt der GF bei konsequentem Nachfragen seine Ungeduld. Ohne ersichtlichen Grund verteidigt er sein Vorgehen vehement. Das Einzige was er offen bemängelt ist die Tatsache seinen Partner zu sehr vertraut zu haben, „denn diese haben nachweislich zu wenig Kompetenz.“

Bezogen auf die gemeinsame Reflektion beschreibe ich im Gespräch meine Suche nach einer dauerhaften und nachvollziehbaren Projektentwicklung. Ähnlich suchend erläutere ich das System der Partnerschaft, die sich mir eher zufällig als aus dem Prozess heraus überlegt abgeleitet erscheint.

Ich konfrontiere beide mit der Hypothese, dass sich in einer Struktur, die von Zufälligkeiten und Unabhängigkeiten lebt, ausschließlich eben solche Partner rekrutieren lassen, die ähnliche Arbeitsbedingungen vorfinden möchten, respektive in sich tragen. Das wiederum führt zu der Tatsache, dass sich niemand wirklich an das Projekt mit der nötigen Ernsthaftigkeit und auch Nachhaltigkeit gebunden fühlt. Wenn ich etwas anbiete, das so unbeschrieben und beliebig ist, wie diese Struktur, dann ziehe ich automatisch diese Art der Kommunikation auch weiterhin an.

Der GF widerspricht. Er beschreibt die Situation als eine von unabhängigen Geschäftspartnern, die alle „Manns genug“ sind und keine Regeln in diesem Sinn benötigen. Jeder hat schon sehr erfolgreich Projekte dieser Größenordnung abgeschlossen. Man trifft sich auf Augenhöhe. Es folgt eine Lobeshymne auf vergangene Erfolge einzelner. Mein Einwand, dass es hier ja offensichtlich anders läuft und die Tatsache, dass man mit vergangen Erfolgen keine gegenwärtigen Projekte stemmt, lässt er zu guter Letzt zumindest gelten.

Für das Projekt heißt das oben Beschriebene unausweichlich:

Entscheidungen werden aus der Situation heraus getroffen. Es gab und gibt keine nachvollziehbare Entscheidungsorientierung, die sich im Außen- oder im Innenverhältnis plausibel begründen ließe. Auch wäre eine Ausleuchtung der Innensicht aus jetziger Perspektive mit Trennung und Schmerzen verbunden, was der GF und offenbar auch seine Partner zugegebenermaßen scheuen.
Das Projekt hat keine Chance, sich den veränderten Marktbedingungen anzupassen, noch lernt es nachweislich und konstruktiv aus vergangenen Fehlern. Die 6 Jahre bleiben völlig diffus als Wahrnehmung in jedem einzelnen anders zurück.

  1. Die totale Umstrukturierung der Führung, Projekt extern vergeben oderNeuorientierung der Führungsriege
  2. Geführte Moderation durch Unternehmensberater mit allen Beteiligten Vgl. auch Leitprozess Vernetzung
  3. Detailgenaue Beschreibung der einzelnen Schritte (Projektmanagement) Vgl. auch Leitprozess Zukunftsbehandlung
  4. Zuständigkeiten und Übernahme von VerantwortlichkeitenVgl. auch Leitprozess Personal
Dieses Projekt ist ein gutes Beispiel dafür, dass eine Organisation kein zu behandelndes Ding oder gar ein abstraktes Gebäude darstellt an dem sich an bestimmten Stellen meist von der Geschäftsleitung vorgegebene Veränderungen implementieren lassen. Vielmehr bestehen Organisationen aus Kommunikationsstrukturen, deren Muster es im ersten Schritt zu dechiffrieren gilt.

Ein Muster in dieser Organisation ist, das scheinbar völlig unbeirrbare Festhalten an Plänen, Ideen und Vorstellungen dieses Projekts. Jeder für sich, jeder innerhalb seiner eigenen Agenda!
Das Ziel des Projektes, die strategische Ausrichtung scheint bei allen fünf Führungspersonen völlig entkoppelt zu sein und findet jeweils im Alleingang statt.

Die Tatsache, dass diese gelebte Non-Kommunikation scheinbar niemanden wirklich stört, zumindest niemand sichtbar Konsequenzen daraus zieht, wirft die oben bereits erläuterte Frage auf, warum oder wie der Führungskreis überhaupt zustande kam und was ihn trägt.

Um unabhängige und selbständig arbeitende Partner für Projekte rekrutieren zu wollen, muss eine Organisation professionelle Kommunikationsstrukturen anbieten, in welcher sich professionell arbeitende Persönlichkeiten wiederfinden und innerhalb ihrer vorgegebenen Grenzen unabhängig und frei agieren können. Wenn es diese von mir jetzt als Grenzen (Gerüst) benannten Strukturen nicht gibt, werden sich die potentiellen Partner in Beliebigkeiten wiederfinden und jederzeit gut ablenken lassen oder die Wertigkeit des Projekts nicht in ihrer Arbeit finden und damit auch nicht tun.

Meine Hypothese ist weiter, dass der GF aus psychodynamischer Sicht gerne an Altbewährtem – auch wenn es sich als hochgradig dysfunktional für ihn erweist – festhält. Es kam in seiner Welt nicht vor, die berufliche Partnerwahl konstruktiv zu hinterfragen und eventuell über Konsequenzen nachzudenken. Als wäre das schlicht weg nicht möglich.

Der Prozess des Organisierens (= Organisation) muss seine Vernetzungsdichte regulieren. Daher müssen ständig Entscheidungen getroffen werden, die regeln, ob die Vernetzung erhöht oder verringert wird. Die Leitfrage ist: „Wollen wir mit der Entscheidung andere Entscheidungen verknüpfen oder entkoppeln?“ Es geht also darum, was worauf aufbaut, wer mit wem reden muss, was autonom bearbeitet werden kann und welche Rückkopplungsprozesse mit anderen Leistungserbringern der Organisation verbindlich sein sollen. Komplexe Organisationen brauchen immer auch die Veränderung ihrer Vernetzung, nicht nur eine Verbesserung von Einzelaspekten, wenn sie sich verändern sollen!

Das häufige Lavieren zwischen zentralen und dezentralen Organisationskonzepten zeugt von der Bedeutung dieses Leitprozesses. Wie bei allen Leitprozessen kann die Organisation im Hinblick auf die Entscheidungspole sowohl zu stark als auch zu schwach vernetzt sein oder ungünstig zwischen den beiden Polen oszillieren. Gerade letzteres ist ein Hinweis darauf, wie schwierig es ist, die passende Antwort auf die Verhältnisse zu finden. Einmal gewährte Autonomie von Organisationsteilen wird ebenso ungern aufgegeben wie einmal gewährter Einfluss. Darum sind Vernetzungsmuster häufig so stabil und können oft nur durch massive Reorganisationen unterbrochen werden.

Wer darf wem bei der Arbeit hineinreden, Randbedingungen verändern, Erfolgsfaktoren definieren? Wo entsteht der (nötige?) Überblick? Wie viel Vernetzung kann sich die Organisation zeitlich, sozial und sachlich leisten, ohne dass die erzeugte Komplexität zur Überforderung wird? Was wird zentral, was dezentral entschieden? Worüber ist mit wem wann Rücksprache zu halten? Weil all diese Fragen auch immer sehr standpunktabhängig sind, entstehen an diesem Leitprozess viele organisationale Konflikte und Dysfunktionalitäten.